NRW-Schulministerin Gebauer stellt Eckpunkte zur „Neuausrichtung der Inklusion vor“ –
Ideenlos und enttäuschend – Rückschritte zu befürchten
6. Juli 2018
Heute hat NRW-Schulministerin Gebauer (FDP) unter der zweifelhaften Überschrift die Qualität der Inklusion an Schulen spürbar verbessern zu wollen, ihre „Eckpunkte zur Neuausrichtung der Inklusion“ in Düsseldorf vorgestellt.
Diese Neuausrichtung der inklusiven Schulentwicklung in Nordrhein-Westfalen stärkt vor allem die Sonderschulen. Für die inklusive Schulentwicklung gibt es dagegen nicht wirklich verlässliche, auskömmliche Ressourcen. Das Schulministerium unternimmt mehr Anstrengungen, die Angebote an Sonderschulplätzen auszuweiten, anstatt die Möglichkeiten für allgemeine Schule zu stützen und verbessern, sich inklusiv zum entwickeln und inklusiv zu unterrichten.
Keinerlei Denkansätze zu Ausbau und Verbesserung der inklusiven Bildung in NRW
Die neuen Regelungen führen u.a. dazu, dass die Zahl der Schulen mit Gemeinsamem Lernen sinken wird. Es ist zu befürchten, dass vielfach nur die Eltern die von Ihnen gewünschte Anmeldung an der Regelschule vornehmen, die z.B. auch über die zeitlichen und finanziellen Ressourcen verfügen, um ihre Kinder mit Beeinträchtigungen täglich über weite Strecken zu einer Schule des Gemeinsamen Lernens zu fahren oder fahren zu lassen. Für die Kinder bleibt somit – strukturell erzwungen – nur die Sonderschule. Die Landesregierung schränkt damit das von ihr selbst immer wieder als leitend angeführte Elternwahlrecht ein (siehe auch PRAXISTEST „ELTERNWAHLRECHT“ # und Die Eltern können ja wählen…). Mehr noch: sie unterläuft auf dem Erlass- und Verordnungswege die Regelung des § 20 im NRW-Schulgesetz, das die Allgemeine Schule zum Regelförderort und die Sonderschule zur Angebotsschule. Das im Gegensatz zu den neuen Regelungen die NRW-Landesregierung viel mehr tun müsste, um den Aufbau eines flächendeckenden und qualitativ hochwertigen inklusiven Bildungssystems zu gestalten machte das Deutsche Institut für Menschenrechte (Monitoring-Stelle UN-Behindertenrechtskonvention) schon im April diese Jahres überdeutlich.
Die UN-Konvention gibt klar den Auf- und Ausbau der inklusiven Schule vor und spricht sich gegen Segregation aus.
Schulministerin Gebauer hält hingegen wie die Vorgängerregierung weiter am kompletten Parallelsystem von allgemeinen Schulen und Sonderschulen fest. Den allgemeinen Schulen werden über diesen Weg dringend benötigte Ressourcen für die „Inklusion“ entzogen bzw. vorenthalten.
Beispielhafte Kritik an den Plänen des Bildungsministeriums
- Die Benachteiligung der inklusiven Schulen bei der Personalausstattung: Noch stärker als bisher sollen die viel zu knappen Sonderpädagogen-Stellen den Sonderschulen zugeschlagen werden. In den inklusiven Schulen sollen die Personal-Löcher unter dem Label „multiprofessionelle Teams“ nur mit fachfremdem Personal notdürftig gestopft werden.
- Die Pläne für eine „Bündelung“ der inklusiven Schulen in der Sekundarstufe: Das gesamte Paket ist rückwärtsgewandt und beschränkt sich vorwiegend darauf, die Zahl der inklusiven Schulen in der Sekundarstufe zu reduzieren. Die Unterstützung dieser Schulen durch mehr Personal bleibt schwammig. In Bezug auf die pädagogische Qualität schiebt Ministerin Gebauer die Verantwortung auf die einzelnen Schulen ab. Sie sollen das Pädagogische Konzept erarbeiten (obwohl die meisten Schulen auf diesem Gebiet keine Sachkenntnis haben) und für die Fortbildung des Kollegiums sorgen. Gar keine Pläne gibt es, wie Schüler*innen mit Behinderung die weiteren Wege zu den auf weniger Standorte beschränkten inklusiven Schulen bewältigen sollen. Bisher haben sie – anders als zu den Sonderschulen – kein Recht auf einen Fahrdienst.
- Den pädagogischen Fehlgriff, Förderschulgruppen an allgemeine Schulen anzugliedern. „Dies ist kein Schritt zur Inklusion, sondern es macht die Ausgrenzung der Schüler*innen in diesen Gruppen nur sichtbarer und belastender“, sagt Wolfgang Blaschke.
- Dem Gymnasium soll künftig freigestellt werden, ob es zieldifferent unterrichten will oder nicht. Ein Ausrichtung, die nicht nur die Lehrergewerkschaft GEW scharf kritisiert. Wie kann denn – so lässt sich fragen – das Menschenrecht auf inklusive Bildung in einer bestimmten Schulform auf dem Erlass- und Verordnungswege ausgesetzt werden und Schulen in die entsprechende Entscheidungsverantwortung gedrängt werden? Die Gefahr ist groß, dass dadurch grade in der heutigen Zeit wieder Unfrieden in den Schulen vor Ort geschaffen wird. Das Gymnasium soll – wertfrei festgestellt – die Eliten unserer Gesellschaft ausbilden. Zu einer Elitebildung, die verantwortungsvolle Manager und Wissenschaftler hervorbringen soll, gehört unabdingbar auch die Erfahrung im Umgang mit der Vielfalt der Menschen. Also auch Menschen, die anders lernen, die Beeinträchtigungen haben und die keinen der aktuell möglichen Abschlüsse und Ausbildungen erreichen können. Diese Erfahrungen können im Alltag des Gemeinsamen Lernens gemacht werden. Davon, dass Inklusion an Gymnasien im Übrigen schon vielerorts erfolgreich gelebte Praxis ist, kann man sich hier ein Bild machen.
So ist kein inklusives Schulsystem von hoher pädagogischer Qualität in Sicht
„Wie mit den Eckpunkten des Schulministeriums die Selbstverpflichtung Deutschlands mit der Unterzeichnung der UN-Behindertenrechtskonvention erreicht werden soll, ein inklusives Schulsystem von hoher pädagogischer Qualität aufzubauen, erschließt sich mir nicht“, sagt Bernd Kochanek, Vorsitzender des Eltern- und Inklusionsfachverbandes Gemeinsam Leben, Gemeinsam Lernen NRW e.V.. Die vorgestellten Eckpunkte weisen in die entgegengesetzte Richtung.
Bereits im Juni hatte sich ein breites Bündnis für inklusive Bildung in Nordrhein-Westfalen aus zahlreichen Elternvereinen, der Bildungsgewerkschaft GEW und der Landesschüler*innenvertretung, dem Landesbehindertenrat, der LAG Selbsthilfe, der Interessengemeinschaft Selbstbestimmt Leben NRW und der Sozialverbände SoVD und VdK gegründet und in seiner Gründungserklärung erhebliche Verbesserungen der Rahmenbedingungen für die Schulen in NRW gefordert. So zum Beispiel verstärkte Fortbildungsanstrengungen für inklusive Schul- und Unterrichtsentwicklung und eine Steigerung der pädagogischen Qualität des gemeinsamen Lernens.
Zum Weiterlesen und Vertiefen
Das MSW NRW: Eckpunkte des MSW NRW zur Neuausrichtung der Inklusion an Schulen NRW
Die, um die es geht, positionieren sich deutlich – Pressemitteilung der Landesschüler*innen-Vertretung NRW
Unser Dachverband: Pressemitteilung unseres Dachverbandes, des Eltern- und Inklusionsfachverbandes GLGL NRW.
Und ebenso deutlich und klar die Einschätzung unserer BündnispartnerInnen von mittendrin e.V. aus Köln.
Auch die Lehrergewerkschaft GEW gibt ein deutliches Statement: Schulministerium fördert Inklusion an allen Schulformen nur halbherzig und Eckpunkte zur Inklusion: Rückschritt statt Fortschritt
Bündnis für inklusive Bildung in NRW: Forderung nach erheblichen Verbesserungen der Rahmenbedingungen beim Aufbau eines inklusiven Bildungssystems
Oft läuft es schlecht mit der Inklusion! Den Finger in die Wunde zu legen ist richtig. Aber wie muss die Umsetzung des Menschenrechts verbessert werden?
Die Beauftragten für die Belange von Menschen mit Behinderungen von Bund und Ländern meldeten sich bereits im Juni zu Wort: Hannöversche Erklärung: Inklusive Bildung endlich deutschlandweit umsetzen!
Das Deutsche Institut für Menschenrechte (Monitoring-Stelle zur UN-Behindertenrechtskonvention) machte bereits im Juni sehr deutlich: Großer Handlungsbedarf bei der Umsetzung der UN-Behindertenrechtskonvention in NRW
Und ein Kommentar auf bildungsklick.de stellt fest: Neuausrichtung der Inklusion in NRW: Ein Fall für den Landesrechnungshof