Pressemitteilung des Sozialverbands Deutschlands, des Deutschen Behindertenrats und der Bundesarbeitsgemeinschaft Gemeinsam leben – gemeinsam lernen (V.i.S.d.P.: Benedikt Dederichs)
Kultusministerkonferenz muss gemeinsames Lernen von behinderten und nicht behinderten Kindern endlich voranbringen
„Der Sozialverband Deutschland (SoVD), der Deutsche Behindertenrat (DBR) und die Elterninitiative „Gemeinsam leben – gemeinsam lernen“ üben scharfe Kritik an den Empfehlungen der Kultusministerkonferenz (KMK) zur sonderpädagogischen Förderung. Bei einer gemeinsamen Pressekonferenz in Berlin richteten sich die drei Verbände mit einem Warnruf an die KMK, die die Empfehlungen am 20. Oktober 2011 beraten und beschloßen haben.
„Die Kultusministerkonferenz muss das Recht auf Regelschule anerkennen und darf die UN-Behindertenrechtskonvention nicht einfach ignorieren. Behinderte Kinder brauchen ein verbindliches Zugangsrecht, damit sich für sie die Tür zur Regelschule auch wirklich öffnet“, forderte SoVD-Präsidiumsmitglied Edda Schliepack. Es bestehe dringender Handlungsbedarf, um das gemeinsame Lernen behinderter und nicht behinderter Kinder in Deutschland endlich von der Ausnahme zur Regel werden zu lassen. 80 Prozent der behinderten Kinder gehen in eine Sonderschule.
„So wie sie jetzt sind, werden die Empfehlungen zur Inklusion die notwendigen Veränderungen keinen Schritt voranbringen“ kritisierte Schliepack und warnte die KMK eindringlich davor, den Vorrang des gemeinsamen Lernens zu verschleiern.
Barbara Vieweg, DBR-Sprecherratsvorsitzende, erklärte: „Auch die schönsten Formulierungen helfen nicht, wenn die Kultusministerkonferenz die Anforderungen der UN-Konvention nicht erfüllt. Das bedeutet für Schülerinnen und Schüler mit Behinderungen weiterhin weite Wege und lange Tage.“
Sibylle Hausmanns von der Elterninitiative Gemeinsam leben – gemeinsam lernen unterstrich den hohen Stellenwert von wirksamen Vorkehrungen, um Bildungsteilhabe sicher zu stellen. „Die Empfehlungen werden den Anforderungen zur UN-Behindertenrechtskonvention zum Thema Diagnostik nicht gerecht. Sie bleiben der alten Zuweisungsdiagnostik verhaftet anstatt zu beschreiben, wie umwelt- und einstellungsbedingte Barrieren an der allgemeinen Schule im Einzelfall abgebaut werden können“, kritisierte Hausmanns.“
Hier können Sie einen Fimbeitrag des SoVD zum Thema sehen: Recht auf Regelschule für behinderte Kinder
Deutliche Kritik an Empfehlungen der KMK von verschiedensten Behinderten- und Berufsverbänden
Ein Entwurf dieser nun beschlossenen KMK-Empfehlungen war bereits am 17.02.2011 zur Anhörung für die Fachöffentlichkeit freigegeben worden. Dieser Entwurf wurde Von sehr vielen Behinderten- und Berufsverbänden als vollkommen unzureichend und den Vorgaben der UN-Behindertenrechtskonvention nicht entsprechend zurückgewiesen. Bei den nun verabschiedeten Empfehlungen der KMK sind die Kritikpunkte der Verbände leider weitestgehend außer Acht gelassen.
Deutlich kritisiert wurde damals beispielsweise von der Sektion Sonderpädagogik der Deutschen Gesellschaft für Erziehungswissenschaft, …
- dass eine bloße „Pluralisierung der Förderorte“ nicht mit der UN-BRK vereinbar ist, da vielmehr die Umstellung auf ein inklusives Bildungssystem auf allen Ebenen gefordert wird;
- dass eine bloße „Ausweitung“ der gemeinsamen Bildung und Erziehung und eine „Weiterentwicklung“ der sonderpädagogischen Angebote unter Beibehaltung von Sonderinstitutionen eine unzureichende Umsetzung der Konvention bedeuten würde;
- dass die personellen und sächlichen Ressourcen zur angemessenen Unterstützung laut UN-BRK konsequent im allgemeinbildenden Erziehungs- und Bildungssystem zur Verfügung gestellt werden müssen und nicht an Sonderinstitutionen gebunden werden dürfen.
„Der Entwurf der Empfehlungen der Kultusministerkonferenz zur inklusiven Bildung von Kindern und Jugendlichen mit Behinderungen in Schulen entspricht nicht den Anforderungen der UN-Behindertenrechtskonvention”, betonte damals auch der Beauftragte der Bundesregierung für die Belange behinderter Menschen, Hubert Hüppe, anlässlich des Stellungnahmeverfahrens der Kultusministerkonferenz zu dem Entwurf. Mehr dazu hier:
Auch die deutsche Monitoring-Stelle zur UN-Behindertenrechtskonvention hatte die aktuellen Papiere der Kultusministerkonferenz (KMK) zur inklusiven Bildung stark kritisiert. „Die Papiere spiegeln die verbindliche Richtungsentscheidung der UN-Behindertenrechtskonvention für ein inklusives Bildungssystem nicht wider“, erklärte Valentin Aichele, Leiter der Monitoring-Stelle, anlässlich der Veröffentlichung der „Eckpunkte der Monitoring-Stelle zur UN-Behindertenrechtskonvention zur Verwirklichung eines inklusiven Bildungssystems“. Zwei Jahre nach Inkrafttreten der Konvention in Deutschland seien entschlossene systematische Anstrengungen in den Bundesländern notwendig, um die Trennung von behinderten und nicht behinderten Kindern im Unterricht strukturell zu überwinden. An dem Ansatz der separierenden Förder- oder Sonderschule weiter festzuhalten, sei mit der Konvention nicht vereinbar, so der Menschenrechtsexperte. Mit ihren Papieren billige die KMK einzelnen Bundesländern den Raum zu, existierende Sonderschulen unhinterfragt weiterzuführen oder ihr bestehendes Sonderschulwesen sogar weiter auszubauen. „In allen Bundesländern sind im schulischen Bereich enorme strukturelle Anstrengungen auf allen Handlungsebenen wie in Blick auf Recht, Schulorganisation, Aus- und Fortbildung, Ressourcenverteilung erforderlich, um das Recht auf inklusive Bildung mittel- und langfristig erfolgreich umzusetzen“, erklärte Aichele. Die Bundesländer seien zudem in der Pflicht, bereits kurzfristig, spätestens ab dem Schuljahr 2011/2012, das individuelle Recht auf einen diskriminierungsfreien Zugang zu einem sinnvollen wohnortnahen Bildungsangebot an einer Regelschule praktisch einzulösen. Der Leiter der Monitoring-Stelle beklagte, dass die guten Erfahrungen mit gemeinsamem Unterricht von behinderten und nicht behinderten Kindern in Deutschland zu wenig bekannt seien und die positiven Beispiele aus anderen Staaten zu wenig zur Kenntnis genommen würden. „Die Konvention ist nicht weltfremd, sondern Inklusion baut auf langjährigen Erfahrungen auf und ist – anders als meist vermutet – gut erprobt“, so Aichele.
Die Verbände behinderter Menschen kritisierten darüberhinaus ihre unzulängliche Einbeziehung durch die KMK. Zwar wären einige Verbände zu Beginn der Erarbeitung bei einzelnen Sitzungen hinzugeogen worden. Eine kontinuierliche und verbindliche Beteiligung und aktive Einbeziehung, wie von der UN-Behindertenrechtskonvention (BRK) in Art. 4, Abs. 3 gefordert, wäre jedoch nicht geschehen. Dies veranlasst den Sozialverband Deutschland, den Deutschen Behindertenrat und die Bundesarbeitsgemeinschaft Gemeinsam leben – gemeinsam lernen e.V. in ihrer gemeinsamen Stellungnahme zu der Vermutung, „dass der KMK an einer ernsthaften Auseinandersetzung mit den Positionen der Verbände behinderter Menschen wenig gelegen war bzw. ist“.
Hier können Sie die nun am 20.10.2011 verabschiedeten Empfehlungen der KMK und einige der damaligen Stellungnahmen der Behinderten- und Berufsverbändenaus diesbezüglich lesen:
- Empfehlungen der KMK: Inklusive Bildung von Kindern und Jugendlichen mit Behinderungen in Schulen
- Stellungnahme der Deutschen Gesellschaft für Erziehungswissenschaft
- Stellungnahme der Bundesvereinigung der Lebenshilfe
- Stellungnahme der BAG Gemeinsam leben-gemeinsam lernen e.V., des Deutschen Behindertenrates, des Sozialverbandes Deutschland, des Paritätischen Gesamtverbandes und 12 weiterer Verbände
- Gemeinsame Stellungnahme des Diakonie Bundesverbandes und des Bundesverbandes evangelische Behindertenhilfe